"Die werden schlechter behandelt als Tiere" Warum ein polnischer Security-Trupp auf einer deutschen Raststätte anrückte

Von Maria Marquart

09.04.2023, 10.16 Uhr

Weil seine Fahrer auf einem Rastplatz bei Darmstadt streiken, tauchte ein polnischer Spediteur dort am Karfreitag mit bedrohlicher Begleitung auf. Der Vorfall berührt auch deutsche Unternehmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Gepanzerter Wagen der Security-Truppe aus Polen: Martialischer Auftritt
Foto: Sebastian Gollnow / dpa

Die Eskalation rund um einen LKW-Fahrer-Streik auf einer Autobahnraststätte in Südhessen am Karfreitag bringt selbst erfahrene Gewerkschafter aus der Fassung. "Ich habe schon viel erlebt, aber das war das bislang Schockierendste", sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell dem SPIEGEL. Er bekam vor Ort mit, wie ein polnischer Speditionsinhaber zusammen mit mehreren Security-Männern versucht haben soll, an die Laster der Streikenden zu kommen. "Der Auftritt war sehr martialisch", berichtet Körzell.

Polizisten gingen dazwischen. "Zahlreiche Einsatzkräfte der Polizei konnten mit Diensthunden und unter Androhung des Einsatzes von Pfefferspray und Schlagstock eine Auseinandersetzung verhindern", hieß es in einer Pressemitteilung. Insgesamt seien 19 Personen vorläufig festgenommen worden, darunter auch der Speditionsinhaber.

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Inzwischen sind der Unternehmer und die Security-Mitarbeiter wieder auf freiem Fuß. Ihnen werden in unterschiedlicher Beteiligung schwerer Landfriedensbruch, Nötigung, Bedrohung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Störung einer Versammlung vorgeworfen. Zudem erhielten alle einen Platzverweis für die Rastanlage.

Gelöst ist der Konflikt längst nicht. Der Streik der Lastwagenfahrer geht weiter. "Wir sehen uns verpflichtet, die Leute zu unterstützen", sagt Gewerkschafter Körzell. Die Fahrer wollten die Lkw erst freigeben, wenn sie ihr Gehalt ausbezahlt bekommen.

Worum geht es den Streikenden?

Rund 50 Fernfahrer haben sich auf der Raststätte Gräfenhausen an der A5 nahe Darmstadt versammelt. Unterstützern zufolge harren die Männer aus Ländern wie Usbekistan, Georgien und Kirgisistan bereits seit Mitte März dort aus. Sie werfen einem polnischen Speditionsunternehmer vor, teils seit Wochen keinen Lohn mehr gezahlt zu haben.

Edwin Atema von der niederländischen Gewerkschaft FNV beschäftigt sich seit Jahren mit den prekären Bedingungen in der Speditionsbranche. Die Fahrer hätten sich auf eigene Initiative zusammengetan und dann um Unterstützung gebeten, sagte Atema dem SPIEGEL.

Atema zufolge wohnen Fahrer teils seit Monaten in den Lastwagen. "Die werden schlechter behandelt als Tiere", sagt er. In der Branche herrschten teils mafiöse Strukturen. Der polnische Speditionsunternehmer habe drei Firmen mit insgesamt 900 bis 1000 Fahrzeugen.

Dominique John vom DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität berichtet, ein Fahrer habe nach eigenen Angaben für vier Monate Arbeit nur 800 Euro bekommen.

Unterstützt werden die Fahrer neben Gewerkschaften auch von Vereinen und der Betriebsseelsorge des Bistums Mainz.

Warum eskalierte die Lage am Karfreitag?

Die Fahrer und ihre Unterstützer hätten zunächst in Verhandlungen versucht, die Situation zu klären, sagt der niederländische Gewerkschafter Atema. Er sei von den Fahrern als eine Art Mediator beauftragt worden und habe Ende März direkt mit dem Spediteur verhandelt. Die Gespräche hätten aber letztlich kein Ergebnis gebracht. Die Firma habe einen Anwalt eingeschaltet.

Am Karfreitag sei dann der Unternehmer mit dem Security-Trupp aufgetaucht. Begleitet wurden sie von Berichterstattern einer polnischen nationalistischen Website, die einen Film dazu veröffentlichte. In einem Bericht über den Polizeieinsatz auf der Raststätte heißt es, die Gruppe aus Polen sei unter unmenschlichen Bedingungen von der Polizei festgehalten worden.

DGB-Mann Körzell berichtete, die Security-Mitarbeiter seien mit einem gepanzerten Fahrzeug und mit schusssicheren Westen angerückt. "Dass der Inhaber der Spedition einen paramilitärischen Schlägertrupp inklusive Panzerfahrzeug nach Deutschland schickt, um mit martialischer Bedrohung einen Protest von Lkw-Fahrern zu beenden, ist ein ungeheuerlicher Vorgang", sagte Körzell. Für die Festgenommenen müsse die Verhängung eines Einreiseverbots in die Bundesrepublik Deutschland geprüft werden, "weil sie eine ernste Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen".

Welche Rechte haben die Lastwagenfahrer?

Der Bezirksvorsitzende des DGB Hessen, Michael Rudolph, nannte die Situation der Streikenden "ein Stück weit traurige Realität im Güterverkehr in Europa". Die Rechtslage sei eigentlich klar: "Es gilt der Lohn des Landes, in dem gefahren wird." Die Realität sei aber leider eine andere.

"Wir brauchen klare Regeln dafür, dass Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in Deutschland auch gegen die Arbeitgeber in Polen vollstreckt und durchgesetzt werden können", forderte er.

DGB-Vorstandsmitglied Körzell fordert, den in Deutschland geltenden Straftatbestand der Vorenthaltung von Lohn zu verschärfen und auf "ausbeuterische Arbeit und Sklavenarbeit" zu erweitern.

Wie geht es nun weiter?

Die Unterstützer der Lastwagenfahrer wollen nun die öffentliche Aufmerksamkeit nutzen. Demnach haben sie offene Briefe an Firmen geschrieben, die Aufträge an Firmen des polnischen Speditionsunternehmers vergeben haben.

Darin heißt es: "Wir haben Transporte über Lukmaz, Agmaz und Imperia durchgeführt, die mit Ihrem Unternehmen in Verbindung stehen, und möchten Sie dringend bitten, sich mit den Unternehmen in Verbindung zu setzen und von ihnen zu verlangen, dass wir als Fahrer Zugang zu unseren eigenen Unterlagen erhalten." Den Fahrern zufolge haben sie keine Vergütungsunterlagen, auf deren Basis sie ihre Ansprüche nachverfolgen können.

Die Briefe gingen demnach unter anderem an DHL und die in Berlin ansässige Logistikfirma Sennder.

Ein DHL-Sprecher teilte auf Anfrage mit, er könne weder bestätigen, dass die Firma Kunde von DHL sei, noch dass ein offener Brief eingegangen sei. Sennder dagegen hat nach eigenen Angaben bereits reagiert. Eine Sprecherin teilte mit: "Wir sind über die Situation bezüglich der Bezahlung von Fahrern in einigen europäischen Märkten, in denen Sennder tätig ist, unterrichtet. Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst und haben unsere Zusammenarbeit mit den Transportunternehmen, die der Ausbeutung beschuldigt werden, mit sofortiger Wirkung eingestellt." Weiter hieß es: "Fahrer sind für den Transport von Gütern unverzichtbar und sollten gut behandelt werden."

Laut DGB-Vorstandsmitglied Körzell und dem niederländischen Gewerkschafter Atema spielen die Speditionsfirmen auch in der Lieferkette von VW und Ikea eine Rolle. Die beiden Gewerkschafter forderten die Firmen auf, keinerlei Geschäfte mehr mit Bezug zur polnischen Firmengruppe zuzulassen. Körzell sagte dem SPIEGEL, er werde die Firmen anschreiben und sie auffordern, alle Geschäftsbeziehungen zu dem Speditionsunternehmen und auch Nachfolgefirmen zu beenden. Das sei eine moralische Frage.

Auf der Facebook-Seite des DGB-Beratungsnetzwerks Faire Mobilität wird einer der streikenden Lastwagenfahrer mit den Worten zitiert, eigentlich müssten sie dem polnischen Spediteur für die Aktion am Karfreitag dankbar sein. "Besser hätten wir der Öffentlichkeit nicht zeigen können, was für Banditen das sind."


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